08.04.1945: Räumungs­marsch, 3. Tag

»Sie gingen an den Dörfern vorbei, die den polni­schen Dörfern so unähnlich waren. […] In ihren Träumen sahen sie kleine, mit Stroh gedeckte, zu Boden geneigte Hütten, wo sie bestimmt warmes Essen, ein Bündel frisches Stroh zum Schla­fen bekom­men würden. Wo man wohl­ge­sinnte Herzen finden würde.
Und wieder das glei­che Hinschlep­pen von schmer­zen­den, mit Wunden und Blasen bedeck­ten Füßen. Und wieder dieser Marsch ins Unbe­kannte. So wie gestern und vorges­tern fallen die Menschen vor Erschöpfung mitten auf dem Weg um. Und viel­leicht ist es nicht mehr so weit zum Ziel. Wie viele Seuf­zer, wie viele Blicke werden in den Raum um uns herum geschickt. Immer mehr Menschen blei­ben am Stra­ßen­rand liegen.«

Maria Suszyńska-Bartman, ehema­lige Gefan­gene des KZ Conti-Limmer

»Wir gehen mit den Männern. Sie sind noch müder als wir, denn sie haben die Entfer­nung, für die wir zwei Tage brauch­ten, in vier­und­zwan­zig Stun­den zurückgelegt. Ihr Gesicht ist gelb, ihre Haut trocken, ihr Blick fieb­rig. Sie gehen mit großen stei­fen, holp­ri­gen Schrit­ten vorwärts; einige werden von Kame­ra­den gestützt; ein Junge schleppt seinen röchelnden Vater. Alle Augen­bli­cke verlässt ein erschöpftes und verzwei­fel­tes Wesen die Kolonne und legt sich an den Stra­ßen­rand.
Ich werde niemals diesen sitzen­den Mann verges­sen. Ein SS-Mann nähert sich ihm, den Revol­ver in der Hand, und berührt seine Schul­ter. Ohne sich umzu­dre­hen, erhebt sich der Mann und folgt ihm. Die Männer mit der Schau­fel schlie­ßen sich an. Ein Schuss: Der SS- Mann und die Totengräber kommen allein zurück. Ich habe diesen Mann, der wusste, dass er ster­ben würde, gese­hen: Sein Gesicht war leer. Die glei­che Szene wieder­holt sich alle 500 Meter.«

Stépha­nie Kuder, ehema­lige Gefan­gene des KZ Conti-Limmer