Bereits am 23. Juni 2004 fasste der Bezirksrat Linden-Limmer den Beschluss, sich dafür einzusetzen, dass
»die Straßen, die im östlichen Teil des Conti-Geländes neu angelegt werden sollen, nach Frauen zu benennen, die im KZ Limmer interniert waren, unter anderem nach Julienne Trouet, die am 19.3.1945 hier gestorben ist.«
Im Juni 2017 schlug unser Arbeitskreis der Landeshauptstadt Hannover fünf weitere Namen vor. Dabei war es uns ein Anliegen, dass möglichst alle größeren Häftlingsgruppen (Nationalitäten: Polinnen, Französinnen, sowjetische Frauen) durch die Straßennamen repräsentiert werden.
Unser Vorschlag wurde übernommen und sechs Straßen, Wege und Plätze 2018 nach diesen Frauen benannt – mit einer kleinen Änderung: Da Straßen in Hannover grundsätzlich nur nach verstorbenen Personen benannt werden und Anastasia Agafonowa noch leben könnte, wurde eine Straße nach ihrer Mutter Antonia benannt, die gemeinsam mit ihren Töchtern im KZ Conti-Limmer war.
Inzwischen stehen die ersten Straßenschilder. Die erläuternden Legendenschilder werden 2024 im Rahmen mehrerer kleiner Veranstaltungen der Öffentlichkeit übergeben.
Im Folgenden finden Sie die Kurzbiografien, die wir zusammen mit den Namen an die Stadt geschickt haben (bei einigen Frauen verfügen wir inzwischen über zusätzliche Informationen; diese werden wir in Kürze ergänzen).
1. Anastasia (Alexejewna) Agafonowa (25.03.1922–?)
… wurde in Weißrussland im Bezirk Polozk geboren. Auf der Karteikarte der SS ist ihr Beruf mit »Landarbeiterin« angegeben. Im Februar 1944 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter Antonia und der jüngeren Schwester Frusa verhaftet. Sie wurden nach eigenen Angaben verdachtigt, Kontakte zu Partisanen unterhalten zu haben. Über einen Transport mit 80 ausschließlich sowjetischen Frauen aus Allenstein / Ostpreußen gerieten sie am 30. Mai 1944 in das KZ Ravensbrück. Von dort kam Anastasia Agafonowa im Juni 1944 zusammen mit Mutter und Schwester in das Lager Conti-Limmer. Im April 1945 musste sie nach Bergen-Belsen marschieren, wo sie am 15. April 1945 befreit wurde. Sie wurde 1945 repatriiert. Anastasia Agafonowa hat ihren Bericht 1990 verfasst, vermutlich auf Veranlassung des Vereins »Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.«, in dessen Veröffentlichung er 1999 erschien.
Quellen
- Agafonowa, Anastasia Alexejewna: »Widersprüchliche Gefühle, Fabrikarbeit in Hannover«, in: »›Es ist schwer, Worte zu finden‹ – Lebenswege ehemaliger Zwangsarbeiterinnen« von Ulrich Herbert, Sabine Gerhardus u. a., herausgegeben von: Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. (Bonn) und Förderverein für Memorial St. Petersburg e. V. (Berlin).
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 65078
2. Cécile Huk (20.12.1907–??.03.1990)
… wurde als Cypora Schlomiuk am 20. Dezember 1907 im damals österreich-ungarischen (von 1918 bis 1940 rumänischen, danach sowjetischen, heute ukrainischen) Bad Lopuschna (Lopușna, Лопушна) als Tochter von Jacob Schlomiuk und Rosa Liebmann geboren. Als österreichische Staatsangehörige ging sie 1935 zum Studium nach Frankreich. 1938, nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, unterstützte sie österreichische Flüchtlinge in Frankreich und hatte dort selbst Flüchtlingsstatus. Sie war verheiratet mit dem österreichischen Staatsbürger Emil Huk oder Huck. Am 16. Mai 1941 wurde sie in Pompignan durch die Vichy-Polizei verhaftet und in Montauban und Toulouse inhaftiert. Am 6. Februar 1942 wurde sie durch ein französisches Militärtribunal wegen »kommunistischer oder anarchistischer Aktivitäten« und »propagande politique d’inspiration étrangère de nature á porter atteinte à l’interet national« zu 10 Jahren Zwangsarbeit und nachfolgendem Aufenthaltsverbot verurteilt. 1943 wurde sie »amnestiert« und an die deutsche Besatzungsmacht ausgeliefert. Über Rennes und Paris geriet sie am 18. Mai 1944 in das KZ Ravensbrück. Am 24. Juni 1944 erreichte sie das KZ Conti-Limmer in Hannover. Nach dem Evakuierungsmarsch in das KZ Bergen-Belsen wurde sie dort eine Woche später am 15. April 1945 befreit. Cécile Huk erkrankte in Bergen-Belsen schwer an Fleckfieber und kehrte am 6. Juni 1945 nach Frankreich zurück. Auf ihren Antrag erhielt sie 1948 die französische Staatsbürgerschaft und arbeitete als Deutschlehrerin am Lyceum. Sie starb im März 1990. 1958 erschien Cécile Huks Buch »Et le ciel resta bleu« im Verlag les Éditions du Scorpion, in dem sie die Geschichte ihrer Haft und Deportation auf fast 200 Seiten schildert.
Quellen
- Huk, Cécile: »Et le ciel resta bleu«, Paris 1958
- Archives des Victimes des Conflits Contemporains (DAVCC) in Caen
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 65077
3. Stéphanie Kuder (11.05.1910–??.06.1986)
… wurde am 11. Mai 1910 in München geboren, wo ihr Vater, der elsässer Maler René Kuder, an der Königlichen Akademie der Künste studierte und im Vorjahr Mathilde Vollmair geheiratet hatte. Ab Oktober 1935 arbeitete Stéphanie Kuder im Sekretariat der Philosophischen Fakultät der Université de Strasbourg. Auf der Karteikarte der SS ist ihr Beruf entsprechend mit »Sekretärin« angegeben. Als Angehörige des Réseau Mithridate stellte sie für StudentInnen gefälschte Ausweise aus. Am 25. November 1943 wurde sie bei einer Razzia in der aus dem annektierten Elsass nach Clermont-Ferrand verlagerten Universität verhaftet. Über das Lager Compiègne kam sie am 31. Januar in das KZ Ravensbrück. Von dort erreichte sie am 24. Juni 1944 das KZ Conti-Limmer in Hannover. Dort wurde sie Blockälteste des einen der zwei Häftlingsblocks. C. Huk bezeichnete sie als eine Kameradin und »außergewöhnliche Frau«, »die für unsere Interessen eintrat« und »außer äußeren Qualitäten auch über innere Qualitäten verfügt«. S. Rohner nannte sie »eine sehr gute Kameradin«. J. Lorge stellte heraus, dass sie als Blockälteste mit ihren Kameradinnen »unter einer Decke steckte«. Nach dem Evakuierungsmarsch in das KZ Bergen-Belsen wurde sie dort eine Woche später am 15. April 1945 befreit. Der britische Offizier Derrick Sington berichtet in seinem Buch »Die Tore öffnen sich«, dass sie dem Internationalen Komitee von 15 ehemaligen Häftlingen angehörte, das nach der Befreiung in Bergen-Belsen gebildet worden war. Am 1. Juni 1945 kehrte Stéphanie Kuder nach Frankreich zurück. Sie wurde »Directrice du Comité des Oeuvres en faveur des Etudiants de’l Université de Strasbourg«, Leiterin des örtlichen Studentenwerks. Für ihre Widerstandstätigkeit wurde sie mit der »Médaille de la Résistance« ausgezeichnet. Stéphanie Kuder starb im Juni 1986. Der Bericht von St. Kuder wurde 1947 veröffentlicht. Er war für HistorikerInnen eine frühe wichtige Quelle für zahlreiche Veröffentlichungen in deutscher Sprache über das KZ-Außenlager bei der Continental in Hannover-Limmer.
Quellen
- Kuder, Stéphanie: »De Ravensbruk à Limmer et à Bergen-Belsen«, in: »De l’Université aux Camps de Concentration«, Strasbourg, 4e édition 1996
- Huk, Cécile: »Et le ciel resta bleu«, Paris 1958
- Lorge, Jehanne: »Déportée pour une injure«, St. Claude 1992
- Rohner, Simonne: »En enfer … 9 Février 1944/8 Mai 1945. Guerre 1939/1945. Témoignage«, Nice 1988
- Sington, Derrick: »Die Tore öffnen sich«, Berlin 2010
- Archives des Victimes des Conflits Contemporains (DAVCC) in Caen
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 57839
4. Stanisława Kamińska (14.01.1914–??.??.1997)
… wurde am 14. Januar 1914 in Warschau geboren. Auf der Karteikarte der SS ist als Beruf »Arbeiterin« angegeben. Am 27. August 1944 wurde sie während des Warschauer Aufstandes verhaftet und über das Durchgangslager Pruszków gemeinsam mit ihren jüngeren Schwestern Krystyna und Weronika in das KZ Stutthof eingeliefert. Von dort gelangten die Geschwister in einem Transport von insgesamt 500 Frauen am 2. Oktober 1944 in das KZ-Außenlager Langenhagen. Als dieses Lager in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar 1945 durch einen britischen Luftangriff zerstört worden war, wurden alle dortigen Häftlinge zusätzlich in das KZ-Außenlager Conti-Limmer überführt. Nach Feststellungen der Landeshauptstadt Hannover hat sich Stanisława Kamińska nach ihrer Befreiung »sozial engagiert, noch während ihres Aufenthalts in Deutschland hat sie in der Organisation ehemaliger polnischer Häftlinge mitgearbeitet. 1946 kehrte sie nach Polen zurück und arbeitet[e] in der Militärischen Bibliothek in Warschau. Sie war Mitglied im Klub der ehem. Bergen-Belsen-Häftlinge, kümmerte sich um ältere Mitglieder und hat den Klub zusammen gehalten.«
Quellen
- Anschütz, Janet / Heike, Irmtraud: »›Man hörte auf, ein Mensch zu sein …‹ Überlebende aus den Frauenkonzentrationslagern in Langenhagen und Limmer berichten«, Hamburg 2003 (Interviewauszüge mit Weronika Kamińska)
- Transportliste der Kommandantur des KZ Stutthof vom 29.09.1944
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 128860
5. Maria Suszyńska(-Bartman) (01.01.1906–25.03.1991)
… wurde am 1. Januar 1906 in Nowa Ruda in Niederschlesien geboren. Später lebte sie mit ihren Eltern und ihren zwei Brüdern in Warschau. Auf der Karteikarte der SS ist ihr Beruf mit »Büroangestellte« angegeben. 1938 debütierte sie aber bereits als Schriftstellerin. Am 12. September 1939 fiel während der Verteidigung von Warschau ihr Bruder Jan. Ihr Bruder Szczepan wurde im Oktober 1943 verhaftet und am 15. März 1944 in Majdanek ermordet. Am 1. August 1944 begann der Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer, der brutal niedergeschlagen wurde. Im Zuge der Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung wurde Maria Suszyńska um den 20. August inhaftiert und über das Durchgangslager Pruszków in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig verschleppt. Vom 29. September bis zum 2. Oktober 1944 wurde sie in einer Gruppe von 500 Frauen in Vieh- und Güterwaggons nach Hannover deportiert und kam in das KZ-Außenlager Langenhagen bei den Brinker Eisenwerken, wo sie in der Munitionsproduktion schwerste Zwangsarbeit leisten musste. Am 6. Januar 1945 wurde das KZ Langenhagen durch einen Bombenangriff zerstört. Die Gefangenen wurden nun im KZ Conti-Limmer untergebracht. Nach dem Evakuierungsmarsch in das KZ Bergen-Belsen wurde Maria Suszyńska dort eine Woche später am 15. April 1945 befreit. Sie erkrankte und gehörte zu den rund 7.000 Häftlingen aus dem KZ Bergen-Belsen, die nach dem Krankenhausaufenthalt zur Kur nach Schweden fahren. Nach ihrer Rückkehr nach Polen ist sie wieder als Schriftstellerin tätig. Maria Suszyńska-Bartman starb am 25. März 1991. Sie wurde auf dem Friedhof von Bydgoszcz beigesetzt. 1971 erschien im Verlag Czytelnik (Warszawa) Maria Suszyńska-Bartmans etwa 250 Seiten umfassender autobiografischer Bericht »Nieświęte Męczennice« (Unheilige Märtyrerinnen) über ihre Deportation und KZ-Haft.
Quellen
- Suszyńska-Bartman, Maria: »Nieświęte męczennice«, Warszawa 1971
- Transportliste der Kommandantur des KZ Stutthof vom 29.09.1944, in: Anschütz, Janet / Heike, Irmtraud: »›Man hörte auf, ein Mensch zu sein …‹ Überlebende aus den Frauenkonzentrationslagern in Langenhagen und Limmer berichten«, Hamburg 2003
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 129030
6. Julienne Trouet (20.10.1900–19.03.1945)
… wurde am 20. Oktober 1900 in Pierrepont, Département Aisne, geboren. Auf der Karteikarte der SS ist ihr Beruf mit »Dienstmädchen« angegeben. Ihr letzter frei gewählter Wohnsitz war Paris, Rue de Meaux 62. Sie lebte dort im Haushalt ihres Arbeitgebers, einem jüdischen Schneider, bei dem sie als Hausangestellte tätig war. Am 7. März 1944 wurde sie aus der Wohnung heraus verhaftet. »Vermutlicher Grund für die Verhaftung: Antideutsche Äußerungen.« Nach Stationen im Gestapo-Gefängnis Maison d’arrêt de Fresnes und im Durchgangslager Romainville wurde Julienne Trouet am 18. Mai 1944 in das KZ Ravensbrück eingeliefert. Mit dem ersten Transport im Juni 1944 kam sie zusammen mit 245 Kameradinnen in das KZ-Außenlager Conti-Limmer. Simonne Rohner berichtete über den Tod Julienne Trouets am 19. März 1945: »Der Durchfall, der durch die schlechte Suppe hervorgerufen wurde, war zu einer wahren Epidemie geworden, gegen den nichts anderes half als fasten. Das verstanden allerdings nur wenige von uns und France [die Häftlingsärztin] musste sich sagen lassen: ›Dir ist das egal, du kannst essen, aber wie sollen wir durchhalten, ohne etwas im Magen zu haben?‹ Julienne war ein solcher Fall, ihr Wille war nicht stark genug, sie ließ sich gehen und war bereits eine lebende Leiche, als sie ins Revier eingeliefert wurde. Dort starb sie zwei Tage später in ihren Exkrementen liegend. Arme Julienne! Sie war ein sanftes Mädchen gewesen, verhaftet, weil sie im Widerstand war. Ihr Tod traf viele Kameradinnen. Eine heftige Szene hatte es gegeben, als eine Kameradin der Toten den Ehering, den sie bis dahin hatte tragen können, vom Finger ziehen wollte. Die ›Rousse‹ [Spitzname der SS-Oberaufseherin] sprang hinzu, riss ihr den Ring aus der Hand und steckte sich ihn in ihre Tasche …« Maria Suszyńska-Bartman berichtete: »Ihre Freundinnen legten ein paar Weidenkätzchen-Zweige in ihren Sarg.« Julienne Trouet wurde auf dem Stadtfriedhof Seelhorst bestattet. Neben Julienne Trouet starb eine junge polnische Frau nach dem Abmarsch des Gros der Häftlinge und kurz vor der Befreiung an unbehandelter Tuberkulose im KZ Conti-Limmer. Ihr Name und der Ort ihrer Bestattung konnten bisher nicht ermittelt werden.
Quellen
- Rohner, Simonne: »En enfer … 9 Février 1944/8 Mai 1945. Guerre 1939/1945. Témoignage«, Nice 1988
- Suszyńska-Bartman, Maria: »Nieswięte męczennice«, Warszawa 1971
- Archives des Victimes des Conflits Contemporains (DAVCC) in Caen
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 57933