Sechs Straßen und Plätze in der Wasserstadt Limmer tragen zum Teil ungewöhnliche, nicht leicht zu merkende oder zu schreibende Frauennamen, die sicherlich schon häufig Fragen aufgeworfen haben. Seit Freitag, 20. September 2024, ist ein wenig klarer, was es mit den Namen auf sich hat: Nun informieren drei erste Legendenschilder unter den Straßenschildern darüber, dass Stanisława-Kamińska, Antonia Agafonowa und Julienne Trouet Gefangene des KZ Conti-Limmer waren, das sich von Mitte 1944 bis April 1945 an dieser Stelle befand.
Nach der Begrüßung durch Arbeitskreis-Sprecher Horst Dralle und einem Grußwort des Bezirksbürgermeisters Rainer-Jörg Grube wurden die Legendenschilder der Öffentlichkeit übergeben. Holger Kirleis widmete den Frauen jeweils passende Musikstücke, und Mitglieder des Arbeitskreises »Ein Mahnmal für das Frauen-KZ in Limmer« lasen kurze Biografien der Namensgeberinnen (siehe unten), bevor sie unter dem Beifall der rund 60 Anwesenden die Legendenschilder enthüllten.
Die nächsten drei Legendenschilder für Stéphanie Kuder, Cécile Huk und Maria Suszyńska-Bartman werden am 11. Oktober 2024 um 16:30 Uhr eingeweiht. Mehr dazu hier: Enthüllung der Legendenschilder in der Wasserstadt Limmer am 20.09. und 11.10.2024
Kurzbiografien
Stanisława Kamińska
Stanisława Kamińska wird am 14. Januar 1914 in Warschau geboren. Über ihre ersten 30 Lebensjahre wissen wir nichts. Auf der Karteikarte der SS ist als Beruf »Arbeiterin« angegeben.
Ende August 1944 wird Stanisława Kamińska während des Warschauer Aufstandes verhaftet. Über das Durchgangslager Pruszków wird sie gemeinsam mit ihrem Vater und ihren jüngeren Schwestern Krystyna und Weronika in das KZ Stutthof bei Danzig eingeliefert. Einen Monat später werden die Geschwister in einem Transport von insgesamt 500 Frauen in das KZ-Außenlager Langenhagen gebracht. Heute liegt der Ort im hannoverschen Stadtteil Brink-Hafen. Die Frauen müssen schwere Zwangsarbeit in den benachbarten Brinker Eisenwerken leisten.
Der Vater bleibt zunächst im KZ Stutthof, kommt später in das KZ Neuengamme und stirbt dort.
Anfang Januar 1945 wird das KZ Langenhagen durch einen britischen Luftangriff zerstört. Die dortigen Gefangenen werden hierher, in das nun völlig überfüllte KZ Conti-Limmer, gebracht. Die nächsten drei Monate verbringt Stanisława Kamińska hier unter katastrophalen Bedingungen.
Kurz vor der Befreiung Hannovers werden die Gefangenen gezwungen, drei Tage lang zu Fuß zum KZ Bergen-Belsen zu marschieren. Dort wird Stanisława Kamińska nach einer Woche voller Schrecken, am 15. April 1945, befreit.
Nach Feststellungen der Landeshauptstadt Hannover ist Stanisława Kamińska nach ihrer Befreiung »sozial engagiert, noch während ihres Aufenthalts in Deutschland hat sie in der Organisation ehemaliger polnischer Häftlinge mitgearbeitet. 1946 kehrte sie nach Polen zurück und arbeitet in der Militärischen Bibliothek in Warschau. Sie war Mitglied im Klub der ehem. Bergen-Belsen-Häftlinge, kümmerte sich um ältere Mitglieder und hat den Klub zusammen gehalten.«
Stanisława Kamińska stirbt 1997.
Quellen
- Anschütz, Janet / Heike, Irmtraud: »›Man hörte auf, ein Mensch zu sein …‹ Überlebende aus den Frauenkonzentrationslagern in Langenhagen und Limmer berichten«, Hamburg 2003 (Interviewauszüge mit Weronika Kamińska)
- Interview mit der Schwester Weronika K., Stadtarchiv Langenhagen
- Transportliste der Kommandantur des KZ Stutthof vom 29.09.1944, in: Anschütz / Heike 2003
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 128860
Antonia Agafonowa
Antonia Agafonowa, geboren 1894, lebte in Belarus im Dorf Pulevšica im Rajon Polock.
Während der deutschen Besatzungszeit von 1941 bis 1944 zerstörte die Wehrmacht in Belarus 9.200 Ortschaften. Fast 5.300 Dörfer wurden unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung niedergebrannt.
Auch den früheren Wohnort von Antonia Agafonowa gibt es nicht mehr. Die insgesamt 37 Wohnhäuser werden 1943 niedergebrannt. Antonia und ihre beiden Töchter Anastasija, 21 Jahre alt, und Frosja, 15 Jahre alt, leben danach – wie so viele andere – versteckt im Wald, mitten im Moor.
Wahrscheinlich wurden sie verraten. Im Frühjahr 1944 werden sie als Kriegsgefangene verhaftet. Den drei Frauen wird vorgeworfen, Kontakte zu sowjetischen Partisanen gehabt zu haben. Die Tochter Anastasija wird im Verhör heftig geschlagen.
Über verschiedene Kriegsgefangenen-Durchgangslager geraten die Agafonowas in das Kriegsgefangenenlager Hohenstein in Ostpreußen. Dort werden sie – wie weitere sowjetische Frauen – von der Wehrmacht »aus der Kriegsgefangenschaft entlassen« und der Gestapo übergeben.
Sie werden Ende Mai 1944 in das KZ Ravensbrück und von dort in das KZ Conti-Limmer verschleppt. Hier müssen sie fast ein Jahr lang in der Gasmaskenproduktion der Continental Zwangsarbeit leisten. Im April 1945 werden auch die Agafonowas zu Fuß zum KZ Bergen-Belsen getrieben. Nach einer Woche im Inferno dieses Konzentrationslagers werden sie dort befreit.
Im Juni 1945 werden die sowjetischen Frauen an die Rote Armee übergeben und sie kommen wieder auf das Gelände des ehemaligen KZ Ravensbrück. Dort hatte man ein Repatriierungslager eingerichtet. Im September 1945 werden Antonia Agafonowa und ihre Töchter in die Heimat zurückgebracht.
Die Tochter Anastasija erinnert sich später: »Der Empfang war ziemlich unfreundlich, obwohl wir aus einem Nachbardorf stammten und in jenem Zehnseelendorf sogar Bekannte hatten.« Sie resümiert: »Was aus dem Leben besonders in Erinnerung geblieben ist? Das sind natürlich der Krieg und das Lager. Wenn der Krieg nicht gewesen wäre, so hätte man nicht dermaßen leiden müssen und wäre auch nicht so krank geworden […]. Insbesondere das Lager geht uns nicht aus dem Kopf; wir werden es nie vergessen, solange wir leben.«
Wann Antonia Agafonowa gestorben ist, ist uns leider nicht bekannt.
Quellen
- Agafonova, Anastasija Alekseevna: »Widersprüchliche Gefühle, Fabrikarbeit in Hannover«, in: »›Es ist schwer, Worte zu finden‹ – Lebenswege ehemaliger Zwangsarbeiterinnen« von Ulrich Herbert, Sabine Gerhardus u. a., herausgegeben von: Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. (Bonn) und Förderverein für Memorial St. Petersburg e. V. (Berlin).
- Agafonova, Anastasija Alekseevna: Undatierter siebenseitiger Bericht in kyrillischer Schrift in einem belarussischen Archiv.
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 65080
Julienne Trouet
Viel wissen wir nicht über Julienne Trouet. Auch in französischen Archiven ist nur wenig über sie zu erfahren. Auf sie aufmerksam wurden wir durch Berichte von Lagerkameradinnen über ihren Tod im KZ Conti-Limmer.
Julienne Trouet wird am 20. Oktober 1900 in Pierrepont im Département Aisne [ɛn] in Nordfrankreich, geboren. Ihr letzter frei gewählter Wohnsitz ist in Paris. Sie lebt dort als Hausangestellte im Haushalt ihres Arbeitgebers, einem jüdischen Schneider namens M. Kabakoff.
Anfang März 1944 werden beide gleichzeitig in der Wohnung verhaftet. Zu Julienne Trouet halten die französischen Behörden später fest: »Vermutlicher Grund für die Verhaftung: Antideutsche Äußerungen.« Ob diese im Zusammenhang mit der Verhaftung des jüdischen Mannes stehen, wissen wir nicht.
Nach Stationen im Gestapo-Gefängnis Fresnes [fʁɛn] und im Durchgangslager Romainville wird Julienne Trouet Mitte Mai 1944 in das KZ Ravensbrück eingeliefert. Etwa einen Monat später kommt sie mit dem ersten Transport zusammen mit 265 Kameradinnen in das KZ-Außenlager Conti-Limmer. Hier verbringt sie die letzten neun Monate ihres Lebens als Zwangsarbeiterin der Continental.
Julienne Trouet stirbt am 19. März 1945 – drei Wochen vor der Befreiung des Lagers. Ihre Lagerkameradin Simonne Rohner berichtet: »Der Durchfall, der durch die schlechte Suppe hervorgerufen wurde, war zu einer wahren Epidemie geworden, gegen den nichts anderes half als fasten. Das verstanden allerdings nur wenige von uns […]. Julienne war ein solcher Fall, ihr Wille war nicht stark genug, sie […] war bereits eine lebende Leiche, als sie ins Revier eingeliefert wurde. Dort starb sie zwei Tage später in ihren Exkrementen liegend. Arme Julienne! Sie war ein sanftes Mädchen gewesen […]. Ihr Tod traf viele Kameradinnen. Eine heftige Szene hatte es gegeben, als eine Kameradin der Toten den Ehering, den sie bis dahin hatte tragen können, vom Finger ziehen wollte. Die [SS-Oberaufseherin] ›Rousse‹ sprang hinzu, riss ihr den Ring aus der Hand und steckte sich ihn in ihre Tasche …«
Die polnische Mitgefangene Maria Suszyńska-Bartman schreibt später: »Die Beerdigung der […] Französin war traurig. Ihre Freundinnen legten ein paar Weidenkätzchen-Zweige in ihren Sarg.«
Julienne Trouet ist auf der alten Hauptachse des Stadtfriedhofs Seelhorst in der Grablege für die in Hannover verstorbenen KZ-Gefangenen namenlos bestattet. Nur die Bezeichnung dieses Platzes hier erinnert noch an Julienne Trouet. Ihr Name soll nicht vergessen werden.
Neben Julienne Trouet stirbt im KZ Conti-Limmer eine junge polnische Frau unmittelbar vor der Befreiung an unbehandelter Tuberkulose. Ihren Namen und den Ort ihrer Bestattung wissen wir bis heute leider nicht.
Quellen
- Rohner, Simonne: »En enfer … 9 Février 1944/8 Mai 1945. Guerre 1939/1945. Témoignage«, Nice 1988
- Suszyńska-Bartman, Maria: »Nieswięte męczennice«, Warszawa 1971
- Archives des Victimes des Conflits Contemporains (DAVCC) in Caen
- Häftlingskarte des SS-WVHA, Datenbank Memorial Archives bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 57933