Am 14. Juli vor 78 Jahren: Wider­stand am Natio­nal­feier­tag und eine Flucht

Am 14. Juli 1944 legen fran­zö­si­sche Gefan­gene des KZ-Conti Limmer als Akt des Wider­stands an ihrem Natio­nal­feier­tag die Arbeit für eine Schweige­minute nieder. In der folgen­den Nacht gelingt einer von ihnen die Flucht.

Schweige­minute

Wider­stand im KZ Conti-Limmer: Am fran­zö­si­schen Natio­nal­feier­tag, dem 14. Juli 1944, unter­bre­chen KZ-Gefangene in der Continental-Fabrik mittags die Zwangs­arbeit für eine Schweige­minute. Jacque­line Francis-Bœuf berich­tet:

»Am 14. Juli gibt es eine kleine Revo­lu­tion in der Fabrik: Die Tagschicht hatte zu Ehren des Tages eine Schweige­minute verein­bart, und pünkt­lich um 11 Uhr unter­bre­chen alle die Arbeit, erhe­ben sich und blei­ben still stehen. Die dienst­ha­ben­den Aufse­he­rin­nen sind verdutzt, schreien ›Aufstand‹: ›Roquet‹, ›Vache‹ und ›Fée Cara­bosse‹, [1] selbst ehema­lige Dienst­mäd­chen oder Fabrik­ar­bei­te­rin­nen, gera­ten außer sich vor Wut, aber die Schläge, die von allen Seiten kommen, entlo­cken den Häft­lin­gen nicht den gerings­ten Laut. Um eine Minute nach 11, als die Arbeit wieder aufge­nom­men wird, können die ›Mäuse‹ stolz darauf sein, wie helden­haft sie ihre Schicht bezwun­gen haben.«

Flucht

In der folgen­den Nacht gelingt einer der Frauen, Mari­ette Muller, die Flucht. Ihre Mitge­fan­gene Simonne Rohner schreibt:

»Am 14. Juli abends gab es Alarm. Die Alli­ier­ten feier­ten würde­voll diesen Fest­tag.  […] Als der Alarm zu Ende war, wurden wir gezählt, bevor wir zurück in die Fabrik gingen. Verblüf­fung ! Eine fehlte … Die SSle­rin­nen liefen kopf‌los herum und holten alle Kame­ra­din­nen, die bereits in den Block gegan­gen waren, wieder raus. Trouddy musste uns im Schein einer Lampe alle nament­lich aufru­fen : Hier! Hier! Hier! … Mari­ette! Keine Antwort.

Zuerst wurde der Unter­stand durch­sucht, dann der Block ; die SS ging zur Fabrik – nichts! Wir wurden befragt. Beim Verlas­sen der Werk­halle war sie noch bei uns gewe­sen, in dem folgen­den Durch­ein­an­der hatten wir sie aus den Augen verlo­ren. Die ›Fauve‹ [2] und der ›Mec‹ [3] verteil­ten ausgie­big Schläge, die wir insge­heim lächelnd einsteck­ten. Eine weni­ger! Wir wünsch­ten alle, dass sie es schaf­fen würde; in der Zwischen­zeit stan­den wir Strafe unter dem Ster­nen­him­mel, im Herzen eine große Freude. Unglaub­li­che Mari­ette! Sie hatte die Gele­gen­heit gut genutzt. Nach zwei Stun­den des Wartens brachte man uns in die Fabrik zurück.

Am nächs­ten Tag muss­ten wir nach der Rück­kehr  Strafe stehen, ›bis man sie gefun­den hätte‹, so wurde uns gesagt. Die Stun­den vergin­gen, wir spür­ten unsere Müdig­keit nicht, alle waren wir in Gedan­ken bei Mari­ette auf dem Weg in die Frei­heit! Sie wurde nicht erwischt; erst nach der Befrei­ung erfuh­ren wir, dass sie einen Unter­schlupf gefun­den hatte auf einem Bauern­hof etwa 20 Kilo­me­ter entfernt, wo die Bauern sie versteck­ten bis zur Ankunft der Ameri­ka­ner.«

Wer weiß etwas?

Lebte Mari­ette Laure Muller (viel­leicht auch unter dem Namen Müller) nach der Befrei­ung in der Gegend von Hanno­ver? Ihre ehema­lige Lager­ka­me­ra­din Annette Chalut berich­tete 2003 in einem Inter­view,

»ich habe versucht, heraus­zu­fin­den, was aus ihr gewor­den war, und es hieß, sie sei … sie habe sich … sie hätte Bekannte in der Gegend gehabt, und es stimmt ja auch, sie musste ihr gestreif­tes Kleid mit Zivil­klei­dung tauschen, es war nicht so einfach, sie sprach Deutsch, weil sie aus dem Elsass kam, und sie war […] nicht nach Frank­reich zurück­ge­kehrt, sie ist in Deutsch­land in der Gegend von Hanno­ver geblie­ben, das ist alles, was ich über sie erfah­ren habe, danach weiß ich nichts mehr.«

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[1] Spitz­na­men der Gefan­ge­nen für die SS-Aufseherinnen: Die ersten beiden bedeu­ten »Kläf­fer« und «Kuh«, die »Fée Cara­bosse« ist eine in Frank­reich bekannte Märchen­fi­gur einer bösen Fee.

[2] »Wilde«, Spitz­name für die SS-Kommandantin (»Komman­do­füh­re­rin«).

[3] »Macker«, Spitz­name für den SS-Kommandanten (»Komman­do­füh­rer«).