Weitere Legen­den­schil­der enthüllt

Über 60 Menschen beglei­te­ten am 11. Okto­ber 2024 die Enthül­lung der nächs­ten drei Legen­den­schil­der in der Wasserstadt-Limmer zu ehema­li­gen Gefan­ge­nen des KZ Conti-Limmer.

Bei strah­len­dem Sonnen­schein beglei­te­ten am 11. Okto­ber 2024 über 60 Menschen die Enthül­lung der nächs­ten drei Legen­den­schil­der in der Wasserstadt-Limmer. Diese unter einzel­nen Stra­ßen­schil­dern ange­brach­ten Tafeln infor­mie­ren darüber, dass es sich bei den Namens­ge­be­rin­nen der Stra­ßen um ehema­lige Gefan­gene des KZ Conti-Limmer handelt.

Mitglie­der unse­res Arbeits­krei­ses berich­te­ten über Stépha­nie Kuder, Cécile Huk und Maria Suszynska-Bartman. Holger Kirleis beglei­tete auf der Blas­har­mo­nika mit Liedern mit Bezü­gen zum Leben der drei Frauen.

Im ersten Bauab­schnitt der Wasser­stadt sind damit alle sechs nach ehema­li­gen Gefan­ge­nen benann­ten Stra­ßen mit Legen­den­schil­dern verse­hen. Unser Arbeits­kreis wird sich dafür einset­zen, dass auch die Stra­ßen und Plätze des zwei­ten Bauab­schnitts nach Frauen, die im KZ Conti-Limmer inhaf­tiert waren, benannt werden.


Kurz­bio­gra­fien

Stépha­nie Kuder

Stéphanie Kuder wird am 11. Mai 1910 in München gebo­ren. Ihr Vater, der Elsäs­ser Maler René Kuder, studiert dort an der König­li­chen Akade­mie der Künste. Ein Jahr zuvor hat er Stépha­nie Kuders Mutter Mathilde Voll­mair gehei­ra­tet.


Ab Okto­ber 1935 arbei­tet Stéphanie Kuder im Sekre­ta­riat der Philo­so­phi­schen Fakul­tät der Univer­si­tät Stras­bourg. Auf der Kartei­karte der SS ist ihr Beruf entspre­chend mit »Sekre­tä­rin« ange­ge­ben. Als Ange­hö­rige des Résistance-Netzwerks Réseau Mithri­date stellt sie für Studie­rende gefälschte Ausweise aus. Ende Novem­ber 1943 wird sie bei einer Razzia in der Univer­si­tät verhaf­tet – nicht in Stras­bourg, sondern in Clermont-Ferrand. Dort­hin ist die Univer­si­tät aus dem besetz­ten Elsass umge­zo­gen. Ende Januar 1944 wird Stépha­nie Kuder in das KZ Ravens­brück depor­tiert. Knapp sechs Monate später wird sie von dort in das KZ Conti-Limmer in Hanno­ver gebracht. Sie wird Block­äl­teste des einen der zwei Häft­lings­blocks. Cécile Huk bezeich­net sie als »außer­ge­wöhn­li­che Frau«, »die für unsere Inter­es­sen eintrat« und »über innere Quali­tä­ten verfügt“. Simonne Rohner nennt sie »eine sehr gute Kame­ra­din«. Jehanne Lorge stellt heraus, dass sie als Blockälteste mit ihren Kame­ra­din­nen »unter einer Decke steckte«.


Bis zur Auflö­sung des Lagers muss Stépha­nie Kuder rund neun Monate Zwangs­arbeit in der Gasmas­ken­pro­duk­tion der Conti­nen­tal leis­ten.  


Nach dem Räumungs­marsch in das KZ Bergen-Belsen wird sie dort eine Woche später am 15. April 1945 befreit. Sie gehört dem Inter­na­tio­na­len Komi­tee von 15 ehema­li­gen Gefan­ge­nen an, das nach der Befrei­ung in Bergen-Belsen gebil­det wird.  


Am 1. Juni 1945 kehrt Stéphanie Kuder nach Frank­reich und Stras­bourg zurück. Dort arbei­tet sie als Leite­rin des örtli­chen Studen­ten­werks. Für ihre Wider­stands­tä­tig­keit wird sie mit der »Médaille de la Résis­tance« ausge­zeich­net.  


1947 wird Stépha­nie Kuders Bericht »Von Ravens­brück nach Limmer und nach Bergen-Belsen« veröf­fent­licht. Er war für deut­sche Historiker*innen eine der wich­tigs­ten frühen Quel­len zum KZ-Außenlager der Conti­nen­tal in Hannover-Limmer.  


Stéphanie Kuder stirbt im Juni 1986.


Quel­len

  • Kuder, Stéphanie: »De Ravens­bruk à Limmer et à Bergen-Belsen«, in: »De l‘Université aux Camps de Concen­tra­tion«,
  • Stras­bourg, 4e édition 1996  
  • Huk, Cécile: »Et le ciel resta bleu«, Paris 1958  
  • Lorge, Jehanne: »Déportée pour une injure«, St. Claude 1992  
  • Rohner, Simonne: »En enfer … 9 Février 1944/8 Mai 1945. Guerre 1939/1945. Témoignage«, Nice 1988  
  • Sing­ton, Derrick: »Die Tore öffnen sich«, Berlin 2010 
  • Archi­ves des Victi­mes des Conflits Contem­po­rains (DAVCC) in Caen  
  • Häft­lings­karte des SS-WVHA, Daten­bank Memo­rial Archi­ves bei der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, file 57839  Flos­sen­bürg, file 128860

Cécile Huk

Cécile Cypora Schlo­miuck wird am 20. Dezem­ber 1907 im damals österreich-­ungarischen, heute ukrai­ni­schen, Bad Lopu­schna gebo­ren. Um 1930 lebt sie in Wien und ist begeis­tert von den Arbei­ten der Psych­ia­ter Freud und Adler.

Als öster­rei­chi­sche Staatsan­gehörige geht sie 1935 zum Studium nach Frank­reich. 1938, nach dem Anschluss Öster­reichs an das Deut­sche Reich, unter­stützt sie österreichi­sche Flücht­linge in Frank­reich und hat dort selbst Flücht­lings­sta­tus. Sie heira­tet den Öster­rei­cher Emil Huk. Mitte Mai 1941 wird Cécile Huk durch die Vichy­-Polizei verhaf­tet. Im Februar 1942 verur­teilt sie ein fran­zö­si­sches Mili­tär­tri­bu­nal wegen »kommu­nis­ti­scher Akti­vi­tä­ten« zu 10 Jahren Zwangs­arbeit und nach­fol­gen­dem Aufent­halts­ver­bot. Bis 1943 sitzt sie in Marseille im Gefäng­nis, dann wird sie »amnes­tiert« – und an die deut­sche Besatzungs­macht ausge­lie­fert. Sie bleibt weiter in Haft.


Ihre jüdi­sche Herkunft ist den deut­schen Behör­den nicht bekannt, Cécile Huk wird als poli­ti­sche Gefan­gene im Mai 1944 in das KZ Ravens­brück depor­tiert. Einen Monat später kommt sie in das KZ Conti-Limmer, wo auch sie die nächs­ten neun Monate Gasmas­ken für die Conti­nen­tal AG herstel­len muss.

Nach dem Räumungs­marsch in das KZ Bergen­-Belsen wird sie dort eine Woche später am 15. April 1945 befreit. Cécile Huk erkrankt dort an Fleck­fie­ber. Sie kehrt Anfang Juni 1945 nach Frank­reich zurück. Noch im glei­chen Jahr wird sie Deutsch­leh­re­rin. Auf ihren Antrag hin erhält sie 1948 die fran­zö­si­sche Staats­bür­ger­schaft.

1958 veröf­fent­licht Cécile Huk ihr Buch »Und der Himmel blieb blau«, in dem sie die Geschichte ihrer Haft und Depor­ta­tion auf fast 200 Seiten sehr eindrucks­voll schil­dert.

Die KZ-Gefangenschaft ging auch an Cécile Huk nicht spur­los vorüber. Zeit­le­bens litt sie unter Klaus­tro­pho­bie und Angst vor Hunger. So berich­tet sie später: »Jahre nach dem Krieg öffnete ich mehr­mals täglich meinen Kühl­schrank, um zu über­prü­fen, ob ich genug zu essen hatte. Zufrie­den knab­berte ich nur an einem Zwie­back«.

Cécile Huk stirbt im März 1990 im Alter von 82 Jahren. Beigesetzt ist sie auf dem jüdi­schen Fried­hof in Épinal.

Hier in Limmer erin­nert nun der Cécile­-Huk­-Ring an diese außer­ge­wöhn­li­che Frau.


Quel­len

  • Huk, Cécile: »Et le ciel resta bleu«, Paris 1958 
  • Archi­ves des Victi­mes des Conflits Contem­po­rains (DAVCC) in Caen  
  • Häft­lings­karte des SS-WVHA, Daten­bank Memo­rial Archi­ves bei der KZ-Gedenkstätte Flos­sen­bürg, file 65077
  • 2 Zeitungs­be­richte aus Frank­reich  

Maria Suszyńska-Bartman

Maria Suszyńska wird am 1. Dezem­ber 1906 im Dorf Nowa Ruda in der Woiwod­schaft Groß­polen gebo­ren. Später lebt sie mit ihren Eltern und ihren zwei Brü­dern in Warschau. 1938 debü­tiert sie als Schrift­stel­le­rin mit dem Gedicht »Romanze«.


Am 12. Septem­ber 1939 fällt während der Vertei­di­gung von Warschau ihr Bruder Jan. Ihr Bruder Szcze­pan wird im Okto­ber 1943 verhaf­tet und kommt am 15. März 1944 im Konzentra­tions­lager Majda­nek um.


Am 1. August 1944 beginnt der Warschauer Aufstand gegen die deut­sche Besat­zung, brutal schla­gen die Besat­zer zurück. Im Zuge der Vergel­tungs­maß­nah­men gegen die Zivil­be­völ­ke­rung inhaf­tiert man auch Maria Suszyńska und verschleppt sie über das Durch­gangs­la­ger Pruszków in das Konzent­rationslager Stutt­hof bei Danzig.


Von dort wird sie in einer Gruppe von 500 Frauen in Güterwaggons nach Hanno­ver depor­tiert. So gelangt sie am 1. Okto­ber 1944 in das KZ­-Außenlager Langen­ha­gen der Brin­ker Eisen­werke. Dort leis­tet sie in der Muni­ti­ons­pro­duk­tion schwerste Zwangs­arbeit.


Anfang Januar 1945 bombar­die­ren die Alli­ier­ten das KZ Langen­ha­gen. Die dorti­gen Gefan­ge­nen werden hier­her, ins KZ Conti-Limmer, gebracht. Die nächs­ten drei Monate bis zur Auflö­sung des Lagers verbringt Maria Suszyńska unter noch kata­stro­pha­le­ren Bedin­gun­gen in diesem nun völlig über­füll­ten Lager.


Auch Maria Suszyńska wird im April 1945 gezwun­gen, zum Fuß zum KZ Bergen-­Belsen zu marschie­ren, wo sie kurz darauf befreit wird. Sie bleibt zunächst im Displa­ced Person Camp Belsen; die Briten hatten es in der nahe gele­ge­nen Wehr­machts­ka­serne einge­rich­tet. Als sie am gras­sie­ren­den Fleck­fie­ber erkrankt, verlegt man sie in das dortige Kranken­haus. Sie gehört zu den rund 7.000 KZ-Gefangenen aus Bergen-Belsen, die im Anschluss an den Kran­ken­haus­auf­ent­halt zur weite­ren Gene­sung nach Schwe­den gebracht werden. Die Über­fahrt von Lübeck nach Stock­holm findet Mitte Juli 1945 statt.


Nach ihrer Rück­kehr nach Polen ist Maria Suszyńska wieder als Schrift­stel­le­rin tätig. In ihren Büchern »Unhei­lige Märty­re­rin­nen« und »Ausru­hen in Sigtuna« schil­dert sie ihre Erleb­nisse beim Warschauer Aufstand, ihre KZ-Gefangenschaft und die anschlie­ßende Zeit in Schwe­den.


Maria Suszyńska­-Bartman stirbt am 25. März 1991, beigesetzt ist sie auf dem Fried­hof von Bydg­oszcz.


Im Jahr 2020 beka­men wir Kontakt zu einem Groß­nef­fen Maria Suszyńska­-Bartmans, der in den USA lebt und der seine Tante nicht selbst kennen­ge­lernt hatte. Er inter­es­siert sich sehr für das Schick­sal seiner Groß­tante und hat ihr Buch »Unhei­lige Märty­re­rin­nen« ins Engli­sche über­set­zen lassen. Die darin aufge­zeich­ne­ten Erin­ne­run­gen sind eine wich­tige Quelle auch für unse­ren Arbeits­kreis.


Quel­len

  • Suszyńska-Bartman, Maria: »Nieświęte męczennice«, Wars­zawa 1971
  • Suszyńska-Bartman, Maria: »Odpo­c­zy­nek w Sigtu­nie« Bydg­oszcz 1983  
  • Trans­port­liste der Komman­dan­tur des KZ Stutt­hof vom 29.09.1944, in: Anschütz, Janet / Heike, Irmtraud: »›Man hörte auf, ein Mensch zu sein …‹ Überlebende aus den Frau­en­kon­zen­tra­ti­ons­la­gern in Langen­ha­gen und Limmer berich­ten«, Hamburg 2003