Am 30. April 1945 hatten die Gefangenen aus Frankreich, die im geräumten KZ Limmer zurückgeblieben waren, Hannover verlassen. Nun, am 8. Mai, kommen sie mit der Bahn in Paris an und müssen zunächst in das Repatriierungszentrum im Hotel Lutetia.
Simonne Rohner:
»Paris! Endlich waren wir in Paris … […]
Ungeduldig wartete ich auf die Busse, die uns abholen sollten; die Offiziere ließen mich nicht auf eigene Faust heimkehren.
›Sie müssen ins Lutetia zur Kontrolle!‹
Gegen 9 Uhr endlich kamen fahnengeschmückte Busse […] Während der ganzen Fahrt grüßten uns die Menschen, warfen uns Kusshände zu, winkten, und wir riefen: ›Willkommen Frankreich! Willkommen Paris!‹ […]
Im Lutetia erwartete uns eine Menschmasse, unbewegliche, verzerrte Gesichter, die Menschen stürzten sich auf uns, umringten uns, fragten uns aus. Pfadfinder und Polizisten mussten uns einen Zugang in das Hotel bahnen. Wieder eine militärische Kontrolle […]«
Simonne Rohner als Pariserin kann das Hotel noch am gleichen Tag verlassen und kehrt zu ihrer Familie zurück.
Ihre aus dem Jura stammende Mitgefangene Jehanne Lorge, die den Räumungsmarsch nach Bergen-Belsen mitmachen musste, dort erkrankte und am 18. Mai mit dem Flugzeug nach Frankreich zurückkehrt, bleibt zwei Tage bis zu ihrer Weiterreise im Hotel Lutetia. Sie schreibt über ihre Ankunft:
»Die Kranken werden in die für die Repatriierten bereitstehenden Krankenhäuser gebracht, wir anderen ins Hotel Lutetia, das für unseren Empfang reserviert wurde. Wir treffen dort am Abend ein, eine große Menschenmenge drängt sich vor dem Eingang, alle klatschen. Wir sind überwältigt, durcheinander. Wir müssen aber noch die Formalitäten über uns ergehen lassen. An mehreren Schreibtischen sitzen Gendarmen, die unsere Berichte aufnehmen.
Anlass der Verhaftung, Lager, in denen wir waren, usw. Die große Eingangshalle im Erdgeschoss lässt an eine Prüfungssituation denken. Dann kommt eine medizinische Untersuchung, Röntgen, Fotografieren. Der Repatriiertenausweis wird uns ausgehändigt.
Pfadfinder sind überall zur Stelle, um uns zu helfen.
Die Damen vom Roten Kreuz sind liebenswürdig und aufmerksam. Spät in der Nacht werden wir zu unseren Zimmern gebracht, begeistert laufen wir über den Teppichboden, freuen uns über die schönen komfortablen Betten mit Bettwäsche; welche Freude, darin zu schlafen. Es klopft an der Tür, was jetzt noch? Das Abendessen, zu dem wir wegen der ganzen Formalitäten nicht gekommen sind, es wird uns um ein Uhr nachts serviert. Das Essen sieht so appetitlich aus, dass wir ihm alle Ehre erweisen. Überhaupt ist es unmöglich zu schlafen. Ich bin in einem herrlichen Zimmer, dessen Balkon in den Farben der Alliierten geschmückt ist. Wir fühlen uns wie in einem wunderbaren Traum, so unbeschreiblich ist unsere Freude, wieder in Frankreich zu sein.«
Der Text auf der oben abgebildeten Tafel, die seit dem 21. Mai 1985 am Hotel Lutetia angebracht ist, lautet übersetzt:
»Von April bis August 1945 wurde in diesem Hotel, das damals zu einem Empfangszentrum umgewandelt worden war, ein Großteil der Überlebenden aus den Konzentrationslagern der Nazis empfangen – glücklich, ihre Freiheit und die geliebten Menschen, denen sie entrissen worden waren, wiederzufinden.
Ihre Freude konnte die Angst und den Schmerz der Familien von Tausenden von Vermissten, die hier vergeblich auf ihre Angehörigen warteten, nicht tilgen.«